Homeoffice - Auszubildende berichten
Wie lande ich im Home-Office in 10 Tagen oder die Frage: „Warum bin ich als Azubi in der Anwendungsentwicklung systemrelevant?“
Diese Frage durfte ich mir die letzten Tage öfter stellen, während ich zwischen den keuchenden Menschenmassen versuchte die Luft anzuhalten. Bloß nicht infizieren ist die Devise… Oder etwa nicht? Würde ich mir und meinen Mitmenschen mit einer Corona – Infektion nicht das Leben erleichtern? Schließlich ist so ein Leben in Quarantäne wahrlich nicht so schlimm, wie alle denken, es scheint eher eine Frage der Einstellung zu sein. Irgendwie glaube ich ja, dass jeder zweite diesen Berufszweig eingeschlagen hat, um spätestens in den Mittvierzigern von zuhause aus zu arbeiten. Sein Leben als Misanthrop mit Highspeed-Internet im heimischen Garten zu fristen, ist nunmehr die Manifestation meiner innersten Träume geworden. Den Garten habe ich ja schon und die Technik in meinem Wohnzimmer ist dekadenterweise nach einem harten Arbeitsalltag meist unberührt und das, obwohl die meisten Teenager von solch einer brachialen Rechenleistung nur träumen. 64gb Arbeitsspeicher, Intel i7 10nm CPU Architektur, alles passiv gekühlt durch mit Wasser gefüllte Schläuche. Machen wir uns nichts vor, im Vergleich zu meinem Zuhause bin ich auf der Arbeit so primitiv ausgestattet wie ein Fahrkartenkontrolleur, der mit einem Locher die Tickets der Fahrgäste entwertet. Das ist unmöglich der Grund, weswegen mir mein größter Wunsch bis zu dem heutigen Tag versagt wird.
Öfter schwirrt mir der Gedanke durch den Kopf, dass mir gegenüber vielleicht zu wenig Vertrauen herrscht, dass ich „nicht eigenverantwortlich“ arbeiten könne. Diesen Bullshit dementiere ich aber schnell, während ein weites „impressive“ durch den wiederholten Treffer meiner Railgun ausgelöst wird. Ja, ich zocke auf der Arbeit und nein, ich habe kein schlechtes Gewissen, obwohl ich offiziell gerade keine Pause mache. Höchstens eine kreative zwischen den morgendlichen Twitch- Ausschweifungen und den aktuellen Musikstreams auf youtube von “hör Berlin”. Eigentlich rebelliert meine innere Mustermann-Stimme kontinuierlich und immer wieder rutscht meine Hand in Richtung Headset, um zumindest ein Ohr von der permanenten Beschallung zu befreien. Aber ich kann und will einfach nicht arbeiten, viel lieber wäre ich zuhause in Sicherheit. Also bin ich trotzig und vor allem ziemlich unproduktiv. Ob ich in der gemütlichen Atmosphäre zwischen den jungen Tomaten auf meiner Fensterbank und meinem überproportionierten Fernseher tatsächlich arbeiten würde, sei dahingestellt. Aus irgendeinem Grund bin ich systemrelevant und meine permanente Anwesenheit auf der Arbeit scheint unverzichtbar für den Fortbestand unserer Gesellschaft.
Aber um diese Ungerechtigkeit auszugleichen, habe ich einen vor Behaglichkeit strahlenden Trotz entwickelt. Vor allem, weil ich bei uns im Gebäude eh von allen anderen isoliert in einem eigenen Büro sitzen darf: „Sicherheitsabstand“ heißt das. Aber wäre nicht mein Zuhause der optimalere Abstand zu “den anderen“? Sollte ich noch nicht durch den täglichen Weg zur Arbeit infiziert worden sein, so stehen die Chancen doch gut, mich in den nächsten zehn Tagen auf meinem langen Weg zum Betrieb durch die feuchte Aussprache eines Leidensgenossen anzustecken und so wie ein Staatsfeind zu einer Bedrohung der zivilisierten Welt zu werden.
Vielleicht sollte ich meine Gedanken noch einmal überdenken: Vielleicht bin ich als potenzieller Träger eines Virus ja tatsächlich irgendwie systemrelevant. Vielleicht agiere ich ja wie „Corvus corone“ – die Rabenkrähe von Apollon – fortan als gewollter Überbringer schlechter Botschaften. Ja vielleicht, aber nur vielleicht, möchte mein Chef sich von seinen Mitarbeitern infizieren lassen? Ach nein, er arbeitet als einziger von zuhause…
Von laskoFerrari, Auszubildender an der it.schule
Virus im System: Überlebensstrategien im Mikrokosmos
Es ist 6 Uhr morgens. Die berauschenden Impulse
morgendlicher Euphorie lassen wie gewohnt auf sich warten. Also gewohnter Trott
zur Kaffeemaschine und ein kleiner Abstecher ins Badezimmer, der mir mal wieder
die stets groteske Überzeugung nehmen sollte, halbwegs lebendig auszusehen.
Explodiertes Wiesel. So ein Kollege vor einiger Zeit zu meiner offenbar
urkomischen morgendlichen Erscheinung.
Heute sollte es allerdings nicht soweit kommen. Kein Kaffeeklatsch, keine
Witzchen. Bitterböse Arbeit im Kellerbüro.
Würden sich die obersten Tiere nicht aus „historischen Gründen“ immer noch stark gegen kollektive Unterstützung von Remote-Arbeit wehren, beliefe sich meine Erfahrung diesbezüglich womöglich auf eine tolerierte Rarität an Tagen. Aber so ist es leider nicht. Ich bin mit meiner peinlichen Naivität völlig auf mich allein gestellt. In Zeiten der Klopapierkriege wohl das Schicksal Unzähliger.
In Jeans und Pullover – schließlich möchte man nicht bereits am ersten Tag die Keimstadien der Desozialisierung akzeptieren – beginnt die montägliche Routinearbeit: Mails checken. Obwohl der Direktzugriff auf die betrieblichen Server den Web-Zugängen aus privaten Netzwerken natürlich in puncto Performance und Anwenderfreundlichkeit vorzuziehen wäre, lässt sich trotz des enormen Tab-Chaos die Arbeit erstaunlich normal verrichten. Gute Infrastruktur scheint klare Voraussetzung zu sein.
Nach einigen Stunden der Selbstgespräche, fachlichen Torturen und dem ungewohnt bekömmlichen 2-Gänge Mittagsmenü ist es für heute geschafft. 16 Uhr – Folge der täglichen Fahrzeitersparnis. Hochzufrieden blicke ich den nächsten Wochen entgegen.
Es ist Tag drei. Seit 48 Stunden habe ich meinen Pyjama nicht mehr verlassen. Ich habe eine Oper komponiert und das Haus neu gestrichen. Die Arbeit erscheint mir zunehmend als störender Faktor, der mich auf dem Grat des physischen und psychischen Rausches noch unnötig bei Verstand hält. Um prophylaktisch einem Missverständnis zu entgehen: Produktivitätseinbußen waren bisher nicht zu vermerken, eher im Gegenteil. Mehr als sonst überkommt mich die Paranoia, Kaffeepausen oder längere Interaktions-Inaktivität am Geschäftslaptop würden genau dokumentiert und mir bald als Arbeitszeitbetrug vorgeworfen werden.
Nach einer Woche reiche ich Beschwerde bei der Küche ein. Schon wieder Nudeln mit Soße. Ich vermisse den Milchkaffee aus dem Vollautomaten. Meine neuen Kollegen, wie ich meine Familie derzeit treffend zu beschreiben gedenke, treiben mich in den Wahnsinn. Der täglichen Grundsatzdiskussion über offene Fenster lässt sich offenbar genauso wenig entfliehen, wie der wirren Monologkulisse im Großraumbüro. Das WLAN ist langsam, das Headset drückt.
Dennoch würde die gesamte Schwellensituation zwischen Disziplin und der sirenenhaften Attraktivität jeglicher Alternativbeschäftigung ein hohes Maß an Demotivation erfordern, um endgültig zu kollidieren. Wären wir aktuell nicht dem Zwang der Heimarbeit unterlegen, stünde ich womöglich schon wieder bereitwillig auf der Büromatte, bereit Grenzen zu ziehen und mein Wochenende zu rekapitulieren.
Mögliche Zusatzbelastungen können selbstverständlich auch nicht unerwähnt bleiben, schließlich wird selbst durch fleißige Isolationsbemühungen ein Arbeitsplatz mit Kleinkindern kaum zu einem Ort der Produktivität. Letztendlich sprechen wir also von individuellen Empfindungen, so viel ist sicher. Die Essenz ist jedoch die selbe: Die Fusion der komplexen Strukturen von Privat- und Geschäftsleben ist eine Herausforderung, die nicht jedermann elegant zu meistern vermag.
Von Lule Schweitzer, Auszubildende an der it.schule